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Montag, 29. Juli 2019

Barfußlaufen - Wir waren damals einfach zu blöd. Jetzt also nochmal richtig!

Für einen Blogbeitrag über das Barfußlaufen gibt es eine Vorgeschichte. Eine Persönliche. Willst du sie kennen?

In meinen 26 aktiven Wettkampfjahren hatte ich mir irgendwann die Fähigkeit antrainiert, relativ schnell laufen zu können. Dynamisch, kurze Bodenkontaktzeiten, kraftvoller Abdruck. Neben anderen Dingen alles Eigenschaften, die zum schnellen Laufen nötig sind.
Nun neigte ich seit ich denken kann beim laufen aber immer zu einer wirklich starken Überpronation, eine sehr deutliche Fußfehlstellung. Dabei knickt man im Sprunggelenk bei Belastung nach innen ein. Spätestens beim Laufen von hinten angeschaut ist sowas bei betroffenen Läufern gut erkennbar. Und ich war davon wirklich stark betroffen.

All die Jahre trug ich Einlagen, Maßanfertigungen von Fachleuten. Dazu entsprechend gegen die Überpronation gestützte Schuhe. Die Denkweise war einfach, durch passive Stützen wird weg korrigiert, was vermeintlich falsch war.

Mein  gesunder Menschenverstand wehrte sich von Beginn an dagegen. Es konnte doch einfach nicht richtig sein, etwas passiv zu stützen, was eigentlich selbst halten soll. Das ist doch etwa so, als wenn du faul auf deinem Sofa schnarchst. Schön bequem, sofern dich deine (Ehe-)Frau schlafen lässt. Aber zum kräftigen Sportsmann, dem die Sekretärinnen hinterherpfeifen, wirst du von der Tieflage auf dem Sofa nicht.

Ebenso nicht deine Fußmuskulatur in deinen orthopädischen Gehhilfen. Gestützt, getragen, einkorsettiert, festgemauert. Sie braucht nichts tun. Wie du auf dem Sofa. Oder dein Bein in Gips, welches wie du weißt seine Muskulatur verliert. 

Aber wir wussten es damals einfach nicht besser. Es war der Zeitgeist, der bis heute in den Köpfen der Läufer sehr tief verankert ist.

In der damaligen Zeit und eigentlich bis heute lebt die Laufschuhindustrie davon, uns die Fußfehlstellungen als etwas völlig Schreckliches darzustellen, was unbedingt wegkorrigiert werden muss. Nun ja, hat bei Laufschuhen dann ja auch gern seinen Preis, aber das sollte uns die orthopädische Gesundheit doch wohl wert sein, oder?

16 Jahre arbeitete ich hauptberuflich selbst im Laufsportfachhandel. Und die Kunden verlangten immer mehr zunehmend nach immer stärker gedämpften und höher technisierten Laufschuhen. Das technisch Aufwändigste erschien gerade gut genug. Wer ein Zwicken und Zwacken im Knie hatte, verlangte zumindest zur Anprobe Laufschuhe mit den edelsten und aufwändigsten Dämpfungselementen die der Markt und der jeweilige Hersteller gerade hergab. Getrieben von Sorge, die technisch nur zweitbeste Lösung könnte in Sachen Dämpfung und Korrektur eines vermeintlich falschen Abrollverhaltens den eigenen Anforderungen nicht genügen.

Moment mal, soll der Artikel nicht vom Barfußlauf handeln? Ja, aber für den sich später einstellenden, scheinbar aus dem Nichts entstandenen Trend zum Minimalistischen, ja zum Barfußlauf, muß die Vorgeschichte bekannt sein.

Die Schuhindustrie handelt mit kommerziellen Motiven und produziert folgerichtig im Schwerpunkt das, worin die Nachfrage hoch ist. Mehr Verlangen der Kunden nach Highend-Laufschuhen verursacht Weiterentwicklung und Angebot der Schuhe in diesem Bereich. Mehr Technologie lässt sich auch ausgezeichnet mit immer höheren Preisen rechtfertigen. Eine Spirale entstand, die sich immer weiter hochdrehte. Sowohl in Sachen Technologie, als auch im Preis. Bis heute!

Schon damals jedoch sagte mir ein Kunde im Ladengeschäft, von Beruf Orthopäde, „Wie gut, dass die Hersteller Pronationsstützen bei den Laufschuhen erfunden haben. So bekommen wir Orthopäden mehr Patienten“. Der Wahrheitsgehalt der Aussage ist durch mich nicht überprüfbar, er stimmte mich jedoch nachdenklich.

Etwa ein Jahr später sagte ein anderer Kunde beim Schuhkauf, ebenfalls Orthopäde, Stützen in den Schuhen führen eben gerade durch das daraus resultierende Entlasten naturgemäß zur Schwächung des jeweiligen Muskels im Fuß, der eigentlich die Überpronation verhindern soll und kann. 
Hochgradig gedämpfte Schuhe können zudem schwammig sein. Gepaart mit geschwächter Fußmuskulatur können so Fehlhaltungen sogar verstärkt und Probleme überhaupt erst verursacht werden. Der aus Sicht des Orthopäden in meinem Laufladen richtige Weg wäre die konsequente und tägliche Kräftigung der Fußmuskulatur durch diverse Übungen, damit der Fuß an sich gestärkt wird und somit orthopädische Probleme beim Laufen vermindert werden können.

Der medizinische Fachmann erklärte also exakt das, was ich immer für richtig hielt, jedoch nicht erklären konnte.

Die Laufszene aufgerüttelt hat eine im Jahr 2010 im Nature-Magazin veröffentlichte Studie von Prof. Daniel Lieberman der Universität Harvard. Er zeigte darin, dass die Belastung des Bewegungsapparates beim Laufen in modernen Laufschuhen höher ist, als beim von der Natur vorgesehenen Barfußlauf!

Die Kernaussage dieser Studie wurde damals in vielen Medien veröffentlicht um kam offensichtlich sehr durchdringend bei uns Läufern an. Relativ oft hatte ich es in der Folge mit nun gänzlich verunsicherten Kunden zu tun. Zu dem Zeitpunkt gab es zumindest in Deutschland noch kaum ein Angebot an Laufschuhen, oder besser noch, einem Schutz für die Füße, die ein natürliches Laufen mit minimaler Technik ermöglichte.

Etwa zeitgleich im Jahr 2010 schlug das Buch „Born to run“ von Christopher McDougall in die Läuferszene geradezu ein. Neben einer Erzählung tatsächlicher Ereignisse lebender Personen der amerikanischen und mexikanischen Ultraläuferszene wird weitreichend aus wissenschaftlicher Sicht der Sinn des Barfußlaufens beschrieben und das in einer Sprache, die auch vom Laien zu verstehen ist. Ich möchte dir dieses Buch unbedingt und ganz dringend ans Herz legen!

Das Buch veränderte den Markt brachial. Die Läufer überrannten uns in den Läden und kauften so ziemlich alles, was so minimalistisch wie möglich war. Hektisch warfen die Hersteller -der Nachfrage folgend- mehr oder weniger zu Ende gedachte Modelle auf den Markt, die eine Art „geschütztes Barfußlaufen“ ermöglichen sollten.

Das Ziel war, im Grunde nur die Fußsohle durch eine Art künstliche Hornhaut zu schützen, so dass eine völlig freie und natürliche Bewegung möglich wurde, die Füße aber vor Steinen und Scherben geschützt waren.

Die Forschungsergebnisse und Argumentationen für den Barfußlauf waren vollkommen deckungsgleich mit meinem eigenen Körperempfinden. Das Thema fesselte mich. Ich wollte schnell selbst ausprobieren, um aus erster Hand mitreden zu können. Auf der Messe des Berlin-Marathons im Jahr 2010 kam ich das erste Mal in Kontakt mit einem Hersteller von so genannten Barfußlaufschuhen. Ein völlig widersinniges Wort, aber die deutsche Sprache kennt kein anderes dafür.

Ich wollte sofort ausprobieren und wissen, erleben, fühlen. Schneller und gesünder laufen. Wie viele andere Läufer damals auch. Und ich wollte mir Kompetenz aneignen. Viele von uns begeisterten Läufern waren aber einfach zu blöd und/oder zu ungeduldig! Wir rannten damit gleich unsere normalen Trainingsstrecken durch den Wald. Keine Gnade für die Wade mal wörtlich genommen. Damals war mein normales Laufpensum in herkömmlichen Schuhen etwa 20 km täglich. Mit meinem ersten Lauf im Barfußschuh dachte ich mir so, „Naja, lächerliche 11 km werden ja wohl locker drin sein“. Wie überheblich von mir. Und ebenso von sehr vielen anderen Läufern, die sich so verhielten.
Ergebnis: Etwa eine Woche Bewegungsunfähigkeit wegen stahlharter Waden.

Sich so zu verhalten und den Bewegungsapparat mit für ihn auf diese Weise völlig ungewohnten muskulären Anforderungen so zu überlasten muss ja zwangsläufig auf die Pritsche und in den Trainingsausfall führen. Man ist gewohnt, lange zu laufen. Die Dämpfung für den Bewegungsapparat beim Barfußlauf ist dem Lauf in Schuhen zwar deutlich überlegen, wie von Prof. Lieberman und Folgenden vielfach bewiesen wurde.

Der Körper ist diese Art des Bewegungsablaufes und der daraus folgenden anderen Nutzungsart der Muskulatur aber nicht gewohnt. Durch lebenslanges laufen in Schuhen ist unsere dazu nötige Muskulatur schlicht verkümmert!

Dieses Verhalten ist vergleichbar mit einem erstmaligen Besuch im Fitnessstudio. Beim ersten Mal machst du sinnvollerweise unter Anleitung eines kompetenten Trainers mal einen kleinen Zirkel. Du ackerst aber nicht gleich 2 Stunden an so ziemlich allen Geräten bis du danach nur noch stöhnend im Liegen duschen kannst. Auch dann wirst du dich eine Woche nicht mehr bewegen können.

In beiden Fällen, Fitnessbude und Barfußlauf, tust du grundsätzlich das Richtige für dich und deine Gesundheit. Und beim Barfußlauf auch für deine Schnelligkeit. Der Schlüssel zum Erfolg, vielleicht das kleine Geheimnis, welches aber ja eigentlich auf der Hand liegt ist, dass du deinem Bewegungsapparat und deiner Muskulatur die Chance zur substanziellen Anpassung geben musst.
Speziell an die männlichen Leser gerichtet: Sowas geht übrigens nicht schnell! Dazu unten mehr.

Heute, also Jahre nach diesem plötzlichen und verbreiteten Barfußtrend, laufen im Vergleich zu damals nur noch sehr wenige Läufer barfuß oder in Barfußschuhen.

Dafür gibt es zwei Hauptgründe:
Zum Einen die Doofheit der Läufer einschließlich mir selbst, die es von Beginn an krass übertrieben und sehr folgerichtig Überlastungsverletzungen davontrugen. Sie erkennen den Fehler nicht im eigenen Verhalten sondern im Barfußlauf.
Zum Zweiten trug die Schuhindustrie selbst erfolgreich dazu bei, dass der Trend fast verschwand aus der Läuferszene.
Denn wenn auf einmal alles bisherige infrage gestellt wird, teure Dämpfungstechnologien, teure orthopädische Korrekturelemente, teurer Schnick-Schnack, dann lässt sich einfach kein Geld mehr verdienen! Tja, so ist das. Eine reine Schutzhülle für den Fuß lässt sich eben nicht mehr auf breiter Front für 160€ verkaufen. Was bei manchem überflüssigem eingebauten Mist bestens funktioniert ist finanziell bei einfachen Fußschutzhüllen eben so nicht möglich.
Also sammelten Teile der Schuhindustrie nachhaltig erfolgreich Argumente gegen das Barfußlaufen. Das hat gut funktioniert. Schon wieder verunsichert folgten viele Läufer-Lemminge den Argumenten. Zumal viele Sportler durch eigenes, sich überforderndes Fehlverhalten am eigenen Körper die scheinbare Richtigkeit der verunsichernden Argumente erlebt hat.

Soweit die die kleine Ausplauderei eines damaligen Insiders des Marktes. Eben von mir.

Ich wechselte später beruflich aus dem Laufsportfachhandel heraus für 2,5 Jahre zu einem Hersteller von Barfußschuhen als Verkaufsleiter für den Bereich Sport. Das Thema Barfußlauf bannte und überzeugte mich zutiefst! Bis heute.

Stark zusammengefasst aus dem Buch „Born to run“ und den Erkenntnissen von Prof. Lieberman:
Der Mensch hat sich in seiner Evolutionsgeschichte als Ausdauerjäger entwickelt, der in spezieller Jagdtechnik seine Beute zu Tode hetzte. Bis vor evolutionsgeschichtlich wenigen Jahren gab es noch keine Schuhe und er lief und jagte zwangsläufig barfuß.
Und die damaligen Jäger sind nicht nur über Blumenwiese und federnde Finnbahnen gelaufen. Stein, Geröll, alles. Das gesamte Zusammenwirken aus aus Muskeln und Gelenken bei seiner dem Überleben dienenden Jagden hat sich durch barfüßiges langes Laufen auch auf anspruchsvollen Untergründen entwickelt.

Du bist selbst „Born to run“, Geboren um zu laufen“!

Und was bringt dir Barfußlaufen im Sport?
Ganz klar: Schnellere Laufzeiten und mehr Gesundheit für deinen Körper.

Ich trainiere seit einigen Jahren einen jungen Mann für die Marathonstrecke. Er ist nicht mit Talent ausgestattet, aber im Training außerordentlich fleissig. Als junger Mann manchmal sogar fleissiger als es dem Trainer lieb ist.
Das Tempotraining absolvierten wir meistens auf einem Sportplatz mit Kunststoffbahn. Irgendwann einigten wir uns darauf, dass er dabei seine Schuhe und Strümpfe auszog und auf der glatten Bahn komplett barfuß trainierte. Natürlich tasteten wir uns wie unten im Artikel beschrieben an die Streckenlängen ran. Bald aber konnte er sein volles Tempotraining barfuß durchziehen.
Du ahnst es schon: Barfuß lief er klar schneller! Von Beginn an. Und es tat ihm subjektiv gefühlt auch gut. Er läuft seitdem freiwillig sehr gern barfuß und absolviert seine Wettkämpfe auf der Bahn barfuß. In Bestzeiten!

Warum läufst du barfuß schneller? 
Das Zusammenspiel deiner Muskeln, Sehnen und Gelenke verläuft barfuß so, wie es im Laufe der Evolution immer weiter dem Überleben dienend perfektioniert wurde. Schuhe, und seien sie noch so modern und High-Tech, sind hier nichts anderes als eine Unwucht im Getriebe. Störend im Millionen Jahre perfektionierten System. Im besten Fall hochmoderner Laufschuhe richten sie vielleicht einen nur geringen oder keinen Schaden an. Das wars in Sachen Schnelligkeit auch schon.
Schnelligkeit? Maximalgeschwindigkeit? Hast du schonmal einen Sprinter mit dick gedämpften Laufschuhen gesehen? Nein?
 Die Sprinter tragen Spikes. Null Dämpfung, fast kein Gewicht. Die Dornen dienen dem Grip auf der glatten Bahn. Bei denen gehts um die maximal mögliche Geschwindigkeit!
 Und du hältst an deinen Dämpfungswalzen fest, die dir die Industrie als irgendwas mit „Energy-Return“ und 4% Leistungszuwachs verkaufen will? Und warum tragen die nicht sie Sprinter, bei denen jeder Sekundenbruchteil zählt? Usain Bolt mit 4% höherer Geschwindigkeit als bei seinem Weltrekord, wenn er diese Teile trägt? Mir kommen durch Logik begründete Zweifel.

Was wir brauchen, ist eine nachhaltig vorbereitete Muskulatur, die uns im barfüßigen Mittel-/Vorfußlauf über die Distanz der Sprintstrecke hinaus bringt, denn sie ist durch lebenslanges laufen in Schuhen weitgehend verkümmert. Darüber hinaus brauchen wir konsequent entwickelte Barfußschuhe, die unseren natürlichen Bewegungsablauf nicht beeinflussen, vollends dämpfungsfrei sind um ihn überhaupt zu ermöglichen und unsere Fußsohlen vorm Untergrund schützen!

Laufe nun bitte nicht barfuß oder in Barfußschuhen einfach so los. Du hast oben gelesen, was dabei falsch laufen kann. In meinem bald erscheinenden Buch erhältst du eine genaue und unzählige Male in der Praxis bewährte Methode, wie du das Barfußlaufen sinnvoll in dein Training einbaust, oder sogar komplett umstellen kannst.